Um es gleich vorwegzunehmen: Wir hatten in Bezug auf spannende neue Entwicklungen in der Kategorie Sweets & Snacks auf der Internationalen Süßwarenmesse mit 1.750 Ausstellern aus 76 Nationen etwas mehr erwartet. Auch wenn ein wenig Hollywood-Glanz (Faye Dunaway, Matt Dillon) zum 50. Geburtstag des Branchentreffs zu Gast war – Glamourfeeling in puncto Innovationsstärke wollte bei uns nicht so richtig aufkommen. Und das liegt unter anderem daran:
1. Fehlende Aussteller:
Vor allem die Großen der Branche wie Mars oder Haribo waren (erneut) nicht vertreten.
2. Zu wenig Mut:
Das Gros der Aussteller agiert ein wenig, als hätte sich der Konsument seit den 90ern nicht verändert. Auch wenn das Thema Nostalgie sicherlich ein wichtiges in der Süßwarenkategorie ist – 2020 sollte unserer Meinung nach doch einiges mehr als lediglich “bunt und ungesund” gehen.
3. Mehr Wertschätzung für die Nische:
Die Start-ups mit spannenden Produktinnovationen wurden innerhalb der Messe in Halle fünf untergebracht – wenig prominent und umzingelt von einer gefühlten Resterampe. Nichtsdestotrotz haben wir ein paar vielversprechende Perlen und spannende Unternehmen entdeckten können. Trendtechnisch haben wir die folgenden Entwicklungen als richtungsweisend identiziert …
Plant-based Sweets & Snacks: yes, yes, yes
“Pflanzenbasiert” klingt nicht so lecker – das englische “plant- based” schon eher. Egal, wie man es bezeichnet – das Thema veggie und vegan spielt für Süßwaren und Snacks eine immer wichtigere Rolle. 2020 hatten laut Messe 506 Firmen vegetarische Süßigkeiten-Alternativen im Angebot. 2018 war die Zahl noch deutlich niedriger. Veganer und Vegetarier stellen für die Süßwarenbranche eine Herausforderung dar, weil sie deutlich weniger naschen als der deutsche Durchschnitt. 50 Prozent der Bevölkerung sagen, sie hätten ihre Lieblingssüßigkeit immer als Vorrat im Haus. Unter Veganern und Vegetariern hingegen sind es nur 40 Prozent.
Dass es sich allerdings lohnen kann, Produkte für eine anspruchsvolle Nische wie Veganer zusätzlich zum klassischen Sortiment herzustellen, hat Langnese 2019 mit einer veganen Variante des beliebten Magnums bewiesen: Laut Yougov-Markenmonitor Brandindex erreichte Magnum im Sommer 2019 einen Spitzenwert von 18 Prozent der Vegetarier und Veganer als Kunden – ganze vier Prozentpunkte mehr als in der Gesamtbevölkerung. Da geht also noch was, wenn man das Angebot der Süßwarenbranche ansieht, die immer noch sehr stark mit tierischen Erzeugnissen arbeitet.
“The future is plant-based”
Unter den Süßwarenherstellern hat Katjes das Potenzial von Veganern und Vegetariern (anders als Konkurrent Haribo) frühzeitig erkannt und in der Kommunikation prominent bespielt. Seit 2016 sind alle Katjes-Produkte 100 Prozent vegetarisch. Die Veganismus-Kampagne 2019 (“Kühe sind keine Milchmaschinen”) wurde kontrovers diskutiert, aber sie hat gezeigt, dass Katjes bei diesem Thema Haltung beweisen will.
Auf der Messe gehörte Katjes auch zu unseren Highlights unter den Messeausstellern. Eingebettet in Holzpaletten (Upcycling und nachhaltig, da bereits 2008 verwendet), inszenierte der Stand das “plant-based-Thema” eindrucksvoll. Die Marke demonstrierte so ihren Pionierstatus in Sachen vegetarische Fruchtgummis sowie Lakritz. Nachdem Katjes 2019 eine erste vegane Quasi-Schokolade (“Cool ohne Kuh”) aus Hafermilch präsentiert hatte (offiziell muss Katjes sie “vegane Schokoladenkuvertüre mit hydrolysiertem Haferpulver” nennen), präsentierte das Unternehmen auf der ISM in diesem Jahr “Wellsweet”. Das sind Beauty-Wellness-Bonbons aus Traubenzucker mit Hyaluron, Vitamin C und Zink.
Adieu, liebe Kuh!
Der Schweizer Schokoladenhersteller Barry Callebaut sorgte in der Vergangenheit immer wieder mit besonderen Innovationen für Aufmerksamkeit. Zuletzt 2017 mit dem Launch der “Ruby Chocolate” – einer rosa Schokoladenvariante. Auf der ISM 2020 präsentierte der nach eigenen Angaben weltweit führende Schokoladenhersteller nun seine erste milchfreie Schokolade. Das Werk in Norderstedt bei Hamburg soll als erste Anlage komplett auf vegane Schokoladenherstellung umgestellt werden und den europäischen Markt beliefern. Damit die neue “M_lk Chocolate” jedoch weiterhin in puncto Konsistenz und Geschmack mit der klassischen Milchschokolade mithalten kann, wird bei der veganen Schokolade ein spezieller Wurzelextrakt verwendet.
Plant-based und herzhaft
Unter den pflanzlichen Snacks gilt für 2020 weiterhin, schmackhafte Alternativen zur Kartoffel zu finden. Hülsenfrüchte sind hier neben neuen Gemüsearten im Fokus. “Weniger Fett”, “weniger Salz”, “gebacken statt frittiert” – so lassen sich in Kurzform die Innovationen zusammenfassen. Unter den herzhaften Snacks, die aus unserer Sicht eher weniger stark vertreten waren, hat 2020 das Unternehmen Dr. Karg den ISM Innovationspreis mit einem Linsen-Snack gewonnen.
Positiv überrascht hat uns Snak Yard, deren Pilz- und Blumenkohl-Snacks unerwartet lecker waren. In Deutschland setzt man aktuell also auf Linsen- und Kichererbsen-Snacks, nachdem der deutsche Wirsing und Grünkohl nie so einen Hype auslösen konnte wie in den USA (“Kale is the new black”). Laut dem Whole Foods Trendradar löst dort der Blumenkohl nun den Grünkohl ab – mal sehen, ob und wie man das demnächst in Deutschland umsetzt.
Das Oxymoron im Trend
Oxymoron, was war das noch mal? Einfach erklärt: eine kalorienreduzierte Mousse au Chocolat. Wenn zwei Dinge zusammenkommen, die sich eigentlich widersprechen, dann spricht man von einem Oxymoron. Und davon gab es auf der ISM auch Beispiele: Süßigkeiten ohne Zucker oder wenigstens zuckerreduziert. Tatsächlich hat sich die Sensibilität der Deutschen gegenüber Zucker in den letzten Jahren erhöht. Besteller-Bücher, die den zuckerfreien oder zuckerreduzierten Lebensstil proklamieren, klären den Mainstream darüber auf, dass “weniger mehr ist”.
Wie wird das Thema vonseiten der Süßwarenbranche aufgegriffen? Entweder basieren die Produkte direkt auf möglichst natürlichen Zutaten wie Beeren, Nüssen oder Gemüse – möglichst naturbelassen. Das Ergebnis ist dann zum Beispiel eine Powerfruchtkugel aus getrockneten Datteln. Oder klassische Süßwaren werden statt mit Industriezucker mit einer alternativen Süßung wie Honig, Agavendicksaft, Birkenzucker, Kokosblütenzucker et cetera hergestellt.
Laut Haribo hat deren zuckerreduzierte Fruchtgummi-Variante nicht den erhofften Erfolg gebracht. Wenn man schon nascht, dann also richtig? Doch gesundes Naschen ist ein ernst zu nehmender Trend – wie man ihn richtig beantwortet, wiederum eine Herausforderung. Eine Kategorie, in der die Auslobung “zuckerfrei” schon ganz normal geworden ist, sind Kaugummis. 80 Prozent sind heute zuckerfrei.
In anderen Kategorien scheint die Umsetzung schwieriger. Geschmack und Konsistenz enttäuschen auf Konsumentenseite leider immer noch zu oft. Jenseits der Zielgruppe Kinder ist zuckerreduziert bei Süßwaren also noch eine Dauer-Challenge und ein spannendes Innovationsthema.
Herkunft & Transparenz – Süßes ohne schlechtes Gewissen
Transparenz in puncto Zutaten und Herstellung wird auch innerhalb der Süßwarenbranche zu einem immer wichtigeren Thema. Vor allem bei Kakao sieht man ein zunehmendes Bestreben, die Lieferkette abzubilden, Fairness für Lieferanten zu demonstrieren oder die Zutaten biologisch zertifizieren zu lassen. Laut dem Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie ist Kakao in knapp über der Hälfte der deutschen Süßwaren nachhaltig zertifiziert. Im Vergleich: 2011 waren es nur drei Prozent.
Auch bei diesem Thema konnte Barry Callebaut punkten: Das eindrucksvolle Standkonzept bestand aus zahlreichen Probierständen, Live-“Cooking” und einer gelungenen Inszenierung der Rohwaren in Kombination mit dem Thema Nachhaltigkeit. Für uns war Barry Callebaut einer der Hersteller auf der Messe, der am konsequentesten und besten die Zukunft abbildet: Genuss plus Nachhaltigkeit durch greifbare Präsentation der Rohwaren und deren Sourcing, und das bei Verzicht auf beziehungsweise Reduktion von Zucker. Während sich bei den Zutaten einiges getan hat, sehen wir bei der Verpackung noch einigen Aufholbedarf. Zu häug wird hier nach wie vor sehr viel Plastik verwendet und zu wenig auf nachhaltige Verpackungsformate gesetzt.
Eine Ausnahme war hier Nupro, die konsequent nachhaltig agieren, indem die Verpackung plastikfrei ist, stattdessen wird nur in Pappe und kompostierbare Zellulosefolie verpackt. Der Proteindrink ist biozertifiziert und vegan. Darüber hinaus verkündet die Website: “Wir wollen, dass jedes Piepen an der Kasse ein Signal für eine bessere Welt ist. Deshalb pflanzen wir mit jedem verkauften Produkt einen Baum.” Nupro ist ein Beispiel für eine Marke, die von innen wie von außen besser als die bestehenden Angebote sein möchte.
Ein anderes herausragendes Beispiel war für uns PLAYinCHOC aus Großbritannien. Die Marke hat bereits mehrere Preise gewonnen und folgt der Erfolgsformel: “Joy + Health + Planet.” Die vegane und nachhaltige Schokolade besteht aus nur drei Zutaten (Kakaobohnen, Kokosnuss und Vanille) und kommt in einer kleinen Box mit Spielzeug zum Selberbasteln. Also quasi die gesündere und nachhaltigere Version des Ü-Ei.
CBD x Sweets
Aktuell ist in quasi jeder Food- und Getränkekategorie CBD ein Thema. Und so war auch die ISM ein bisschen “high”. Hanf und Cannabis tauchten in Kaugummi und Bonbons auf, ebenso wie in Keksen. Haschkekse sind ja nichts Neues, mag man da entgegnen – das Start-up Euphoria aus den Niederlanden (na klar) sieht das anders und will die “High Cannabis Cookies” mit dem Wirkstoff Cannabidiol für den Mainstream schmackhaft machen. Leider sieht das Packaging dann doch eher aus, als wäre es in einem Amsterdamer Coffeeshop designt worden.
Klassiker mal anders. Wildes & Kurioses
Tatsächlich lassen sich auf der ISM immer auch sehr ausgefallene Kreationen finden, die klassische Geschmacksvorlieben von Konsumenten auf den Kopf stellen. Um mal ein paar Fundstücke dieser Kategorie zusammenzufassen: Erdbeerlakritz, Rote-Bete- Kakao, Bonbons in den Geschmacksrichtungen Sauerkraut, Kölsch oder Curryketchup-Schokolade mit Zitronenmelisse oder eine Schokolade mit grünen Ameisen.
Tatsächlich waren Insekten, wie zu erwarten, vertreten – auch wenn sich der Erfolg in Deutschland noch nicht wirklich niederschlägt. Alternative Proteine durch Insekten sind bei knapper werdenden Ressourcen und wachsender Weltbevölkerung ein wichtiges Thema, kulturell für den westlichen Gaumen aber nach wie vor eine kulinarische Überwindung. Auch wenn zahlreiche Start-ups wie Entis (Heuschrecken in weiße Schokolade gehüllt), Partybugs oder Sens versuchen, die Wahrnehmung der kleinen Krabbeltiere zu ändern. Jenseits der Insektenproteine spielte Eiweiß als Gesundheitsbombe in sehr vielen Produkten eine tragende Rolle. Befit stellte Proteinwaffeln vor.
Die Zukunft von Sweets und Snacks sieht idealerweise gesünder, nachhaltiger und vielfältiger aus – wie man bei manchen Innovationen der Branche bereits heute ablesen kann. Die Hersteller schauen positiv in die Zukunft. Trotz wachsenden Gesundheitsbewusstseins verspeist jeder Deutsche jährlich im Schnitt 30,9 Kilo Süßwaren – das hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre nicht groß verändert, wie Hans Strohmaier, Vorstandsvorsitzender des Branchenverbands Sweets Global Network, im Rahmen der Messe bekräftigte. Auf der anderen Seite gilt es den steigenden Rohstoffpreisen (unter anderem für Kakao und Gelatine) zu trotzen und am Regal schnell zu überzeugen. Süßigkeiten sind Impulsartikel und brauchen daher auch in puncto Ästhetik einen überzeugenden Auftritt. Das heißt aber in Zukunft eben nicht: bunt & ungesund.